Medikamentensucht

Tavor® und Alkohol

Tavor® und Alkohol – die Wirkungen in Kürze

  • Tavor® und Alkohol wirken beide im zentralen Nervensystem an den GABA-Rezeptoren.
  • Die Substanzen können miteinander in gefährliche Wechselwirkung
  • Bei gleichzeitiger Einnahme von Tavor® verstärkt sich die Alkoholwirkung und tritt schneller ein.
  • Die sedierende Wirkung der Substanzen kann sich ebenfalls verstärken – dies kann bis zur Atemdepression führen.
  • Mischkonsum birgt zudem eine große Gefahr für eine Mehrfachabhängigkeit.
  • Der Entzug sollte immer in einer qualifizierten Therapie

Was ist Tavor®?

Tavor® ist ein Arzneimittel aus der Gruppe der Benzodiazepine, die anxiolytisch, sedierend, antikonvulsiv und hypnotisch wirken können.

Es handelt sich um eines der deutschlandweit am häufigsten verschriebenen Beruhigungsmittel und beinhaltet den Wirkstoff Lorazepam, der zu den bekanntesten Benzodiazepinen gehört. Er wird in erster Linie Patienten verschrieben, die unter Angst- und/oder Panikstörungen leiden.

Wirksam bei psychischen Ausnahmezuständen

Dank seiner sedierenden Wirkung sind Präparate, die Lorazepam enthalten, außerdem geeignet, um kurzzeitig Schlafstörungen zu behandeln. Auch als Beruhigungsmittel vor und nach diagnostischen Untersuchungen sowie operativen Behandlungen kann Tavor® zum Einsatz kommen, bei akuten Erregungszuständen oder psychischen Ausnahmezuständen. Im Gegensatz zu anderen Benzodiazepinen besitzt Lorazepam als Wirkstoff eine besonders lange Wirkdauer. Das Medikament Tavor® wird demzufolge vor allem Patienten verordnet, die aufgrund andauernder innerer Unruhe sowie Angst- und Panikattacken von anhaltenden Wirkeffekten profitieren.

Ecstasy Wirkung: Gehirn symbolisch in Hand
Ecstasy Wirkung: Gehirn symbolisch in Hand

Was wird durch die Einnahme von Tavor® erreicht?

Lorazepam ist eine psychoaktive Substanz, welche die Blut-Hirn-Schranke überwindet und ihre Wirkung im Gehirn des Patienten entfaltet. Dort beeinflusst das Benzodiazepin eine Reihe von Rezeptoren, die sogenannten GABA-Rezeptoren. Dadurch wird der Botenstoffwechsel verändert, weil der Wirkstoff die Funktion des inhibitorischen Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (GABA) verstärkt1. Dieser wiederum hemmt die Erregungsfähigkeit von Zellen und sorgt so für eine gedämpfte Reizweiterleitung. Wer unruhig ist und eine Dosis Lorazepam einnimmt, spürt also schon nach kurzer Zeit die beruhigenden Effekte des Benzodiazepins.

Wie wirken Tavor® und Alkohol?

Alkohol ist ähnlich wie Lorazepam eine psychoaktive Substanz, die an denselben Rezeptoren im Gehirn aktiv wird und die inhibitorische Wirkung des Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (GABA) verstärkt. Die Reizweiterleitung wird also auch durch den Konsum alkoholischer Getränke unterbunden bzw. stark blockiert. Das bemerken Menschen, die trinken, daran, dass sie sich nach einem Glas Bier oder Wein schnell entspannen. Doch was passiert, wenn beide Stoffe gemeinsam im Gehirn wirken? Die genauen Wechselwirkungen lassen sich nur schwer vorhersagen, weil die Wirkungsmechanismen beider Substanzen noch nicht vollständig geklärt sind. Fest steht aber, dass sich sowohl die Alkoholwirkung wie auch die des Benzodiazepins verändern. Es kommt zu einer gegenseitigen Wirkungsverstärkung – und das bereits bei geringer Dosis2.

Wie beeinflusst Tavor® die Wirkung von Alkohol?

Bei gleichzeitiger Anwendung von Lorazepam und Alkohol tritt die Wirkung des Ethanols meist schneller ein. Das bedeutet, dass Betroffene sich schon nach einer geringen Alkoholmenge betrunken fühlen. Dadurch verstärken sich alkoholtypische Nebenwirkungen wie beispielsweise Übelkeit, Bewegungsstörungen oder eine verringerte Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit. Das kann besonders im Straßenverkehr, aber auch in vielen anderen Situationen gefährlich werden. Aufgrund des beschleunigten Wirkungseintritts besteht überdies das Risiko, dass es zu einer Alkoholvergiftung kommt. Eine solche kann mitunter lebensgefährlich werden und eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich machen.

Kann Alkohol die Wirkung von Tavor® verstärken?

Medikamente mit dem Wirkstoff Lorazepam, zu denen neben Tavor® auch Präparate wie Tavor Expidet®, Lorazepam dura® oder Tolid® gehören, sollten niemals mit Ethanol kombiniert eingenommen werden, da die beruhigende Wirkung um ein Vielfaches größer ausfällt als erwünscht. Das betrifft möglicherweise auch weitere Funktionen des zentralen Nervensystems. So kommt es häufig vor, dass sich die Atemtätigkeit nach dem Mischkonsum von Lorazepam und Ethanol verringert.

Im Ernstfall kann es zur Atemdepression mit Atemstillstand kommen. Darüber hinaus können sich viele weitere typische Nebenwirkungen verstärken. Dazu gehören Müdigkeit und Benommenheit, Bewegungsstörungen und Gangunsicherheit, Muskelschwäche und Übelkeit. Insbesondere bei bereits geschwächten Menschen oder älteren Patienten können diese Komplikationen auftreten.

Wird man von der gemeinsamen Tavor®– und Alkohol-Wirkung schneller abhängig?

Die regelmäßige Einnahme von Lorazepam kann, wie der Konsum von Alkohol, zur Entwicklung einer Abhängigkeit führen. Anders als bei alkoholischen Getränken, bei denen eine Abhängigkeit meist erst nach einem dauerhaften Konsum in hohen Dosen auftritt, genügen bei Benzodiazepinen schon geringe mg-Dosen und eine kurze Anwendungsdauer, um Entzugserscheinungen und andere Symptome einer Abhängigkeit auszulösen.

  • Schnellerer Eintritt einer Abhängigkeit
    • Bereits 2-3 Wochen der Lorazepam-Einnahme können zu einer Suchtentwicklung führen. Wer die Anwendung des Beruhigungs- und Schlafmittels mit alkoholischen Getränken kombiniert, muss damit rechnen, dass die Suchtentwicklung zudem schneller abläuft und sich intensiviert. Das gilt insbesondere für Patienten, die bereits eine Suchthistorie aufweisen.
  • Tavor® ist nicht für Menschen mit Suchthistorie geeignet
    • Betroffene, die schon einmal abhängig von Drogen, Alkohol oder Medikamenten waren, sollten grundsätzlich nur in Ausnahmefällen und nach ärztlicher Absprache mit Lorazepam oder anderen Benzodiazepinen behandelt werden.

Wie stark wird die Leber durch die gleichzeitige Gabe von Tavor® und Alkohol belastet?

Die Behandlung mit Medikamenten wie Tavor Expidet® bei gleichzeitigem Konsum von Alkohol ist noch aus einem anderen Grund gefährlich: Beide Stoffe werden größtenteils über die Leber verstoffwechselt, bevor sie ausgeschieden werden können. Je intensiver die Leber mit der Umwandlung der toxischen Stoffe beschäftigt ist, umso weniger leistungsfähig ist sie und umso mehr nimmt sie durch die Substanzen selbst Schaden. Das bedeutet, dass Tavor® und Alkohol bei gleichzeitiger Einnahme länger im Körper verbleiben und die Leber langfristig krank werden kann.

Wann darf man nach Tavor® wieder Alkohol trinken?

Wer Lorazepam bzw. andere Benzodiazepine nimmt, sollte während der Behandlung grundsätzlich keinen Alkohol konsumieren. Das gilt insbesondere für geschwächte und ältere Patienten. Wann genau nach der Einnahme des Medikaments wieder ein Glas Wein oder Bier konsumiert werden darf, sollte im Detail mit dem behandelnden Arzt besprochen werden. Auf keinen Fall sollten Patienten die Wirkungsdauer des Beruhigungs- und Schlafmittels als Richtwert verwenden.

Das Medikament wirkt bis zu neun Stunden spürbar, bevor die Effekte langsam abklingen. Das bedeutet aber nicht, dass das Benzodiazepin nun nicht mehr im Körper aktiv wäre. Im Gegenteil: Die Halbwertszeit von Lorazepam, also die Zeit, in der die Hälfte des Wirkstoffs abgebaut wird, beträgt bis zu 18 Stunden. Auch danach ist das Medikament noch immer im Körper nachweisbar und kann in Wechselwirkung mit Ethanol treten. Selbst bei geringer Dosis können noch Nebenwirkungen auftreten. Es gibt zudem Benzodiazepine mit einer noch längeren Halbwertszeit, die noch deutlich länger im Körper bleiben.

Wie verläuft die Behandlung einer Mehrfachabhängigkeit von Tavor® und Alkohol?

Der Mischkonsum von Tavor® und Alkohol birgt ein hohes Risiko für eine Mehrfachabhängigkeit, die ganz besondere Anforderungen an eine adäquate Therapie stellt. So müssen sowohl die Tavor®– als auch die Alkoholabhängigkeit gleichzeitig behandelt werden, um Rückfälle weitestgehend ausschließen zu können. Aufgrund der Komplexität sollte der Entzug unbedingt in einer qualifizierten Suchtklinik durchgeführt werden.

  • Schrittweiser Entzug von Benzodiazepinen
    • Die Vitalfunktionen der Betroffenen müssen engmaschig kontrolliert werden, das Absetzen des Benzodiazepins Lorazepam darf nur durch eine schrittweise Verringerung der Dosis erfolgen. Wurde ein Benzodiazepin mit längerer Halbwertszeit eingenommen, wird dieses durch eines mit schnellerem Abbau ersetzt. Sind die schlimmsten Entzugssymptome der körperlichen Abhängigkeit überwunden, beginnt im Idealfall die psychische Entwöhnung, bei der die Ursachen des Mehrfachkonsums aufgearbeitet und durch alternative Lösungsstrategien ersetzt werden. Wichtig ist es auch, die Ursachen der Angst zu behandeln, welche ursächlich für die Einnahme von Tavor® waren.
  • Ablauf eines Entzugs von Benzos und Alkohol
    • Übernimmt der zuständige Rentenversicherungsträger die Kosten der Suchtrehabilitation, findet diese in der Regel in einem separaten Behandlungsschritt in einer öffentlichen Rehaklinik nach der Entgiftung im Krankenhaus statt. Zwischen beiden Behandlungsschritten können schlimmstenfalls Monate liegen, in denen die Rückfallgefahr für die Betroffenen besonders hoch ist und der Teufelskreis der Abhängigkeit erneut beginnen kann. Die Kombination von körperlichem Entzug (Entgiftung) und psychischer Entwöhnung in einem Behandlungsschritt – man spricht hier von einem qualifizierten Entzug – erfolgt ausschließlich in privaten Entzugskliniken.

Wird Tavor® beim Alkoholentzug eingesetzt?

Wer darüber nachdenkt, einen Alkoholentzug durchzuführen, fragt sich vermutlich, ob bzw. welche Medikamente bei einer Alkoholentzugstherapie eingesetzt werden. Tatsächlich werden, basierend auf der S3 Leitlinie zu Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen, bei einem Alkoholentzug Medikamente eingesetzt. Dazu gehören auch einige Benzodiazepine – Lorazepam inbegriffen3.

  • Lorazepam bei schweren Entzugserscheinungen
    • Der Wirkstoff wird explizit zur Behandlung von schweren Entzugssymptomen sowie von Entzugskrampfanfällen empfohlen. Auch beim Alkoholentzugsdelir (Delirium tremens) kann die Gabe von Lorazepam angezeigt sein. Es handelt sich dabei um eine schwerwiegende Komplikation eines Alkoholentzugs, die unbehandelt tödlich enden kann4. Wichtig: Der Wirkstoff Lorazepam wird in der Entzugsbehandlung nicht unbedingt in Form des Präparates Tavor® verabreicht. Zudem bedeutet der generelle Einsatz des Medikaments in der Entgiftungstherapie nicht, dass Suchtkranke mithilfe von Tavor® eigenmächtig einen Alkoholentzug durchführen können. Im Gegenteil: Aufgrund der bisweilen lebensgefährlichen Wechselwirkungen sollte auf die gleichzeitige Einnahme von Tavor® und Alkohol ohne ärztlichen Rat immer verzichtet werden!
  • Tavor® als Risiko für eine Suchtverlagerung
    • Auch die Gefahr einer Suchtverlagerung besteht, bei der Patienten den Suchtdruck bewusst oder unbewusst von einem Rauschmittel auf ein anderes verschieben. Um dies zu verhindern, wird Lorazepam in der Behandlung alkoholsüchtiger Patienten nur in sehr vorsichtiger Dosierung und nur während der Entgiftungsphase eingesetzt. Meist empfiehlt es sich, nach der Entgiftung stattdessen auf Antidepressiva wie SSRI oder SSNRI zu setzen sowie nicht-medikamentöse Maßnahmen zu ergreifen.

Quellenliste

1 Gräfe, Kerstin „Steckbrief Lorazepam“, PZ Pharmazeutische Zeitung, 09.02.2022, https://www.pharmazeutische-zeitung.de/steckbrief-lorazepam-131169/ (Datum des Zugriffs: 16.01.2023)

2 Wanka, Volker et al. „Medikamente im Rettungsdienst“, Georg Thieme, Stuttgart, New York, Delhi, Rio, Kapitel 27 Wirkstoff: Lorazepam, Online ISBN 9783132402447; Buch-DOI 10.1055/b-003-128271, https://www.thieme-connect.de/products/ebooks/lookinside/10.1055/b-0037-142481 (Datum des Zugriffs: 16.01.2023)

3 Kiefer, Hoffmann, Petersen, Batra (Hrsg.) “Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen”, Springer Verlag, Heidelberg, 2. Auflage 2022, Die Leitlinie ist auch online verfügbar bei der AWMF: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/076-001.html Zugriff am (Datum): 27.04.2023

4 Weiß, Maria „Delir“, Medical Tribune, https://www.medical-tribune.de/medizin-und-forschung/krankheitsbild/psychiatrie/delir (Datum des Zugriffs: 16.01.2023)

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