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Behandlung – Ablauf, Verfahren & Leitlinien

Rede und Antwort steht Ihnen ein hochkarätiges Experten-Quartett, bestehend aus:

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Behandlung – Ablauf, Verfahren & Leitlinien

Wie ist eine Suchttherapie aufgebaut und wie lange dauert sie?

Frau Dr. Mahlmeister
Unabhängig von der konsumierten Substanz besteht eine Suchttherapie immer aus einer Entgiftung, Entwöhnung / Langzeittherapie und einer ambulanten Nachsorge. Die Dauer hängt davon ab, ob der Entzug in einer öffentlichen oder einer privaten Einrichtung stattfindet und von welchem Suchtstoff entzogen wird. In einer öffentlichen Klinik bestehen feste Tagessätze des jeweiligen Kostenträgers Entgiftung von Alkohol: 2 Wochen Entgiftung aller anderen Suchtstoffe: 4 bis 6 Wochen Langzeittherapie / Suchtrehabilitation: 12 Wochen In einer privaten Klinik finden Entgiftung und Entwöhnung in einer Behandlung statt und sind deutlich intensiver als in den Einrichtungen öffentlicher Träger. Eine Behandlungsdauer von einer Woche entspricht somit einer einmonatigen Behandlungsdauer in einer öffentlichen Klinik. Man rechnet mit 4 Wochen für den Alkoholentzug 6 bis 8 Wochen für den Entzug aller anderen Substanzen

Was ist das Nahtlosverfahren?

Herr Prof. Dr. Kiefer
Das deutsche Gesundheitssystem ist aufgegliedert in die Akutbehandlung (Krankenkasse) und die Rehabilitation (Rentenversicherung). Es handelt sich dabei um zwei separate Systeme, die nicht aufeinander abgestimmt sind und auch in der Suchtbehandlung zum Tragen kommen. So findet eine qualifizierte Entgiftung in einem Akutkrankenhaus oder einer psychiatrischen Klinik statt und dauert rund 3 Wochen. Bis die Patienten allerdings eine Suchtrehabilitation / Entwöhnung in Anspruch nehmen können, gehen meist 4 bis 6 Wochen ins Land, da diese erst bei der zuständigen Rentenversicherung beantragt werden muss. Das Nahtlosverfahren ist eine Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens für Patienten mit guter Reha-Prognose oder einem schweren Krankheitsverlauf. Der Antrag wird vom Sozialdienst des behandelnden Krankenhauses oder einer Suchtberatungsstelle bereits während der Entgiftung gestellt, so dass der Betroffene unmittelbar (nahtlos) nach dem Klinikaufenthalt an einer Sucht-Reha teilnehmen kann.

Was ist eine Kurzintervention?

Herr Prof. Dr. Kiefer
Eine Kurzintervention ist ein motivierendes Interview, das in 3 bis 10 Terminen à 10 Minuten bei den meisten Hausärzten stattfinden kann. Den Betroffenen soll deutlich werden, dass viele gesundheitliche Probleme mit dem Alkoholgebrauch zusammenhängen, beispielsweise Bluthochdruck oder Depressionen. In einem frühen Stadium der Sucht kann zusätzlich ein Trinktagebuch helfen, sich über die eigenen Trinkmengen klarzuwerden und den Konsum der Gesundheit zuliebe einzuschränken. Dies funktioniert allerdings nur dann, wenn noch kein ausgeprägter Kontrollverlust und keine Entzugserscheinungen vorliegen und die Alkoholfolgen im sozialen Umfeld noch begrenzt sind.

Gibt es bestimmte Leitlinien zur Suchtbehandlung?

Herr Prof. Dr. Kiefer
Wie bei vielen anderen Indikationen, erfolgt die Behandlung einer Sucht nach vorgegebenen Richtlinien, den sogenannten S3-Leitlinien. Diese liegen bisher für die Alkohol- und Nikotinabhängigkeit, die Medikamentensucht und die Methamphetamin-Abhängigkeit vor; für andere Suchterkrankungen werden sie noch erarbeitet. In den Leitlinien enthalten sind evidenzbasierte Empfehlungen aus den Bereichen Früherkennung, Behandlung und Rehabilitation, die ebenso die Behandlung physischer und psychischer Begleiterkrankungen umfassen.

Welche Rolle spielt die individuelle Suchtbiografie für die Behandlung?

Herr Prof. Dr. Kiefer
Um abstinent bleiben zu können, benötigen die Betroffenen Zugang zu ihrer Erkrankung, d. h. sie sollten eine Idee davon bekommen, welche Aspekte ihrer Persönlichkeit und ihres Umfelds dazu beigetragen haben, eine Abhängigkeit zu entwickeln. Ebenso wichtig ist es, zu erkennen, ob eine Komorbidität / Begleiterkrankung die Entstehung der Sucht begünstigt hat.
Herr Dipl. Psych. Winter
Patienten unserer Klinik erarbeiten sich in der Einzeltherapie ein Suchtmodell, in welchem auch biografische Faktoren eine Rolle spielen (Rollenvorbilder, Prägungen, Lernerfahrungen, Belastungsfaktoren, erlernte Erlebens- und Verhaltensmuster, etc.). Es werden Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren, der Konsumentwicklung und dessen Funktionalität hergestellt. In der Mitte der Behandlung erfolgt die Erarbeitung und Vorstellung des eigenen Lebensflusses (Lebenslinie, Konsumentwicklung), in welchem relevante Lebensereignisse, Lernerfahrungen und Prägungen, persönliche Ressourcen sowie wichtige positive und negativen Einflüsse dargestellt werden. Auf diese Weise erfahren die Betroffenen viel über sich selbst und erhalten von ihren Mitpatienten und durch unser Team sehr wertvolle Rückmeldungen bzgl. ihrer eigenen Stärken / Ressourcen und möglicher Stolpersteine. Gleichzeitig werden schon sichtbare Veränderungen zurückgemeldet und Veränderungswünsche formuliert.

Sollen unterschiedliche Süchte parallel behandelt werden?

Frau Dr. Mahlmeister
Bei einer Mehrfachabhängigkeit sollten alle Suchtstoffe gemeinsam entzogen werden, um Ping-Pong-Effekte zwischen beiden Süchten zu verhindern. Es sollte keine Substanz mehr konsumiert werden, welche die andere Sucht verschlimmern könnte. Lediglich bei der Sucht nach Nikotin und Alkohol kann – je nach Ausprägung und Suchtbiografie – im absoluten Ausnahmefall einzeln entgiftet werden, um den Suchtkranken durch die Entzugserscheinungen nicht allzu sehr zu belasten. Aber auch hier gilt, dass der Konsum beider Suchtstoffe nach Möglichkeit gleichzeitig beendet werden sollte.

Warum ist der Substanzkonsum häufig mit Begleiterkrankungen verbunden?

Frau Dr. Mahlmeister
Suchterkrankungen gehen mit physischen, psychischen und sozialen Folgeschäden einher, so dass die Betroffenen durch den Verlust des Partners, Arbeitslosigkeit oder eine schwere physische Folgeerkrankung häufig eine reaktive Depression entwickeln. Umgekehrt können eine primäre Erkrankung wie Depression / Angststörung oder durchlebte Traumata zum Suchtmittelkonsum als Selbstmedikation führen. Die Übergänge verlaufen fließend und machen es umso wichtiger, den Patienten ganzheitlich zu betrachten. Eine stabile Abstinenz lässt sich nur dann erreichen, wenn der Suchtkranke mit all seinen Erkrankungen behandelt wird. Dies gilt gleichermaßen für psychische Begleiterkrankungen wie Depression und Angststörung als auch physische Indikationen wie eine Leberzirrhose oder Hepatitis C.

Wie sieht die Behandlung von Sucht und Begleiterkrankung aus?

Frau Dr. Mahlmeister
In der My Way Betty Ford Klinik werden Begleiterkrankungen während des Entzugs ärztlich, psychotherapeutisch und medikamentös mitbehandelt. Die Betroffenen werden stabilisiert in den Alltag entlassen und setzen die verordnete Medikation in der Regel nach dem Entzug fort. In öffentlichen Kliniken gehen die Bestrebungen während der Langzeittherapie weitgehend dahin, Suchtkranke ganzheitlich zu behandeln. Dies ist allerdings aufgrund der vorgegebenen Strukturen nicht immer möglich, so dass besonders bei psychischen Begleiterkrankungen eine hohe Rückfallgefahr besteht. In einem solchen Fall ist es wichtig, dass das ambulante Suchthilfesystem eng miteinander verzahnt arbeitet, um dem Betroffenen ein stabiles Auffangnetz nach dem Klinikaufenthalt zu gewährleisten und Rückfälle zu verhindern. Geeignete Anlaufstellen sind u. a. der Hausarzt, ambulante Therapeuten, Selbsthilfegruppen und Suchtberatungsstellen.

Welche Faktoren sind ausschlaggebend für einen nachhaltigen Therapieerfolg?

Frau Dr. Mahlmeister
Abstinenz fängt mit einer guten Entgiftung an. Je sanfter, schonender und angenehmer diese für den Betroffenen verläuft, umso weniger ist mit Therapieabbrüchen zu rechnen. Darüber hinaus spielen die Abstinenzmotivation, die familiäre Situation und ein gutes soziales Umfeld eine große Rolle. Alles, was Halt und Struktur vermittelt und innere Leere füllt, kann helfen, die Abstinenz zu stabilisieren. Dazu gehören der Arbeitsplatz, regelmäßige Tagesabläufe und die körperliche Fitness bzw. Sport. Nach der Entzugsbehandlung (Entgiftung + Entwöhnung) sollte die Therapie ambulant fortgesetzt werden. Eventuell müssen familiäre und freundschaftliche Strukturen überdacht und angepasst werden, um das Rückfallrisiko zu minimieren.

Wie sind die langfristigen Prognosen einer Entzugstherapie?

Frau Dr. Mahlmeister
Wer die Nachsorgeempfehlungen befolgt und das während des Entzugs Erlernte beibehält, hat gute Prognosen, langfristig abstinent zu bleiben. Dazu gehört im Falle einer Alkoholsucht, dass die Angehörigen auf den Konsum von Alkohol verzichten und so wenig Trinkanreize wie möglich bieten. Ein konsumfreudiger Freundeskreis sollte gewechselt oder zumindest davon überzeugt werden, in Gegenwart des Betroffenen nicht mehr zu trinken.
Herr Dipl. Psych. Winter
Die meisten Rückfälle in alte Trinkmuster passieren 6 bis 12 Monate nach der Entgiftung. Die Erfolgsaussichten zur Beibehaltung einer Abstinenz steigen durch zusätzlich absolvierte qualifizierte Entzugsbehandlungen und Entwöhnungsbehandlungen deutlich, so dass diese ein elementarer Baustein der Suchtbehandlung sind. Auch ein regelmäßiger Selbsthilfegruppenbesuch, ambulante Psychotherapien, Kontakt zu Suchtambulanzen und Suchtberatungsstellen (Nachsorge) steigern die Chance auf eine Abstinenz deutlich.

Sind Tabletten eine Alternative zum Alkoholentzug?

Frau Dr. Mahlmeister
Im Gegensatz zu vielen anderen Erkrankungen ist eine Abhängigkeit eine chronische Erkrankung, die durch die Einnahme bestimmter Medikamente nicht geheilt werden kann. Es gibt also keine „Tabletten gegen Alkoholsucht“, welche die Abhängigkeit beenden und einen qualifizierten Entzug ersetzen können. Dennoch erfüllen sogenannte Anticraving-Substanzen eine wichtige Funktion im Suchthilfesystem, denn sie können den Patienten nach dem Entzug gemeinsam mit allen anderen Maßnahmen unterstützen, seine Abstinenz zu wahren. Allerdings sind sie aufgrund ihrer Kontraindikationen nicht für jeden Suchtkranken geeignet, so dass die Einnahme nur unter ärztlicher Überwachung erfolgen darf.

Wie wirksam sind Anticraving-Substanzen?

Herr Prof. Dr. Kiefer
Die Wirksamkeit der Anticraving-Substanzen Naltrexon, Nalmefen, Baclofen & Acamprosat ist auf hohem Evidenzniveau nachgewiesen, so dass auch in den S-3 Leitlinien für Alkoholsucht darauf verwiesen wird.

Kann kontrolliertes Trinken helfen, eine Alkoholsucht zu beenden?

Frau Dr. Mahlmeister
Eine Suchterkrankung wird laut ICD-10, dem Diagnosemanual der WHO, durch 6 Kriterien definiert, von denen innerhalb des letzten Jahres mindestens 3 gemeinsam aufgetreten sein müssen. Ist dies der Fall, sind die Konsumierenden neuronal nicht mehr dazu in der Lage, ihr Trinkverhalten zu kontrollieren. Dennoch ist das kontrollierte Trinken für viele Betroffene eine notwendige Erfahrung, um ihre Abhängigkeit zu erkennen und im zweiten Schritt die Abstinenz anzustreben. Kontrolliert zu konsumieren, scheint ein erreichbares Ziel zu sein, wohingegen eine lebenslange Abstinenz – besonders für junge Menschen – zunächst unvorstellbar ist. Es ist also gewissermaßen der erste Schritt, um sich mit der Sucht auseinanderzusetzen und der Einstieg ins Suchthilfesystem.
Herr Dipl. Psych. Winter
Aus der Erfahrung heraus ist ein kontrolliertes Trinken in den allermeisten Fällen nur bei schädlichem Alkoholgebrauch möglich, d. h., wenn noch keine Abhängigkeit besteht. Ein passendes Angebot hierzu bieten die Suchtberatungsstellen. Da viele Alkoholabhängige den Wunsch nach einem „normalen Trinken“ haben, enthält unsere Rückfallprävention dennoch ein Modul zum Thema „Kontrolliertes Trinken“, dessen Regeln den meisten Teilnehmern allerdings nach intensiverer Beschäftigung mit dem Thema nicht wirklich zusagen. Schließlich entsprechen mindestens 2 konsumfreie Tage pro Woche und die Festlegung auf eine recht niedrige tägliche Trinkmenge – die erst ab einer bestimmten Uhrzeit und gar nicht bei psychisch schlechter Verfassung eingenommen werden sollte – nicht dem Wunsch nach selbstbestimmtem Alkoholkonsum und nach einer ausreichend starken Substanzwirkung. Zudem sind diese Regeln von Abhängigen wegen ihres starken Verlangens nach Konsum und wegen des erworbenen Kontrollverlustes gar nicht bzw. nicht über einen längeren Zeitraum einhaltbar. Alkoholabhängige Menschen beantworten interessanterweise die therapeutische Frage „Was glauben Sie, ist leichter für Sie: nichts oder wenig zu trinken?“ sehr häufig aus dem Bauch heraus mit der Antwort: „Nichts“.