Begleitende Therapien & Angehörigenarbeit als Erfolgsfaktor
Inwiefern können begleitende Therapien einen Entzug unterstützen?
Frau Dr. Mahlmeister
Die Linderung der Entzugserscheinungen während der Entgiftung erfolgt in erster Linie durch Medikamente. Aufgrund der entzugsbedingten neuronalen Vorgänge im zentralen Nervensystem können die negativen Begleiterscheinungen der Entgiftung nur bedingt durch Therapien gelindert werden. Eine deutlich größere Bedeutung haben therapeutische Angebote während der Entwöhnung / Suchtrehabilitation. Hier dienen sie der Patientenstabilisierung und dem Erlernen neuer Bewältigungsstrategien. So kann Biofeedback den Puls bei innerer Unruhe senken, neuro-elektrische Stimulation und eine bessere Schlafhygiene helfen bei Schlafstörungen.
Welche Therapien werden während einer stationären Entwöhnung / Suchtrehabilitation angeboten?
Frau Dr. Mahlmeister
Zu den klassischen begleitenden Therapien gehören Kunst- und Musiktherapien, Sport, Physiotherapie und Entspannungstherapien. Je nach Klinik werden darüber hinaus weitere Therapien angeboten wie z. B. Aromatherapie, Biofeedback, neuro-elektrische Stimulation, Akupunktur, kreatives Schreiben oder tiergestützte Therapien. Auch dem Erlernen einer geeigneten Schlafhygiene kommt eine große Rolle zu.
Welche Therapien sind in einer Tagesklinik möglich?
Herr Dipl. Psych. Winter
Den Patienten unserer Tagesklinik (ganztägig ambulante Reha) stehen neben einer Psychotherapie im Einzel- und Gruppensetting zahlreiche Therapieangebote zur Verfügung. Dazu gehören z. B. Ergo- und Gestaltungstherapien, Bewegungstherapien, das Erlernen von Entspannungstechniken, eine Achtsamkeitsgruppe, Gesundheitsschulungen, Ernährungsberatung (inkl. Kochprojekte) und Rückfallprävention. Auch therapiebegleitende Arbeits- und Belastungserprobungen sind möglich. Alltagsprobleme können direkt in der Psychotherapie angesprochen und bearbeitet werden.
Wie werden die Therapien zusammengestellt?
Frau Dr. Mahlmeister
In einer Privatklinik wie der My Way Betty Ford Klinik richtet sich der wöchentliche Therapieplan nach der Suchtbiografie, der konsumierten Substanz und der Persönlichkeit des Einzelnen. Während einige Patienten über einen Zugang zur Musik verfügen, sind andere eher kunstorientiert. Menschen mit starker innerer Anspannung erlernen Entspannung zusätzlich zum Gruppensetting in Einzelstunden. Betroffene, die von Schlafmitteln abhängig sind, werden in einer besseren Schlafhygiene unterwiesen; Alkoholkranke mit Gangstörungen erhalten eine physiotherapeutische Gangschule. Insgesamt werden die Therapien immer individuell zusammengestellt und beginnen meist bereits am Tag nach der Aufnahme.
Welche Rolle spielt der Sport bei einem Alkoholentzug?
Frau Dr. Mahlmeister
Durch Sport kann die Kondition und körperliche Fitness der Patienten nach und nach wieder aufgebaut werden. Dazu gibt es Angebote unterschiedlicher Schweregrade wie Nordic Walking, Pilates oder Rückenstärkung, etc. Lediglich in den ersten Tagen der Entgiftung und bei einem sehr schlechten Allgemeinzustand wird keine Sportfreigabe erteilt.
Gibt es Alkoholkranke, die mit guter körperlicher Fitness und Konstitution zum Entzug erscheinen?
Frau Dr. Mahlmeister
Wie fit unsere Patienten bei Entzugsbeginn sind, hängt vielfach von der Art des Alkoholkonsums ab. Sogenannte Quartalstrinker, die nur phasenweise trinken und dazwischen „funktionieren“, bringen je nach Persönlichkeit durchaus eine gewisse körperliche Fitness und sportliche Affinität mit. Das gleiche gilt für Personen, die lediglich zu einer bestimmten Tageszeit trinken und in der Zwischenzeit abstinent bleiben. Selbst wenn im Alltag aktiv kein Sport getrieben wird, kehrt die Fitness bei dieser Patientengruppe unter einem regelmäßigen sportlichen Training schnell zurück. Anders sieht es bei Spiegeltrinkern aus, die immer einen gewissen Alkoholpegel im Blut haben müssen, um keine Entzugserscheinungen zu erleiden oder Menschen, die mit einer starken Alkoholvergiftung aufgenommen werden. Hier muss in der Regel die körperliche Fitness moderat und Schritt für Schritt wiederaufgebaut werden.
Welche Rolle spielen die Angehörigen bei einer Abhängigkeitserkrankung?
Herr Prof. Dr. Kiefer
Die Angehörigen sind ein wichtiger Faktor der Suchttherapie, so dass die Angehörigenarbeit ein Bestandteil der S3-Leitlinienempfehlungen ist. Angehörige können sowohl zur Aufrechterhaltung des Suchtproblems beitragen als auch zu Verhaltensänderung, Entzug und Abstinenz motivieren und insgesamt sehr unterstützend sein. Für viele Betroffene sind Familie und Angehörige tatsächlich eine Hauptmotivation dafür, den eigenen Suchtmittelkonsum mit seinen Folgen zu ändern
Wie verhalte ich mich am besten als Angehöriger?
Frau Dr. Mahlmeister
Angehörige sollten versuchen, den Betroffenen zur Therapie zu motivieren und selbst abstinent leben. Besteht die Sucht über Jahre hinweg, können Angehörigengespräche und die Teilnahme an Selbsthilfegruppen für Angehörige Erleichterung bringen.
Wie spreche ich meinen Angehörigen am besten auf seine Sucht an?
Frau Dr. Mahlmeister
In den meisten Fällen wird die Abhängigkeitserkrankung vom Betroffenen bagatellisiert. Daher ist es am sinnvollsten, ihn zu einem gemeinsamen Gespräch beim Hausarzt oder in einer Suchtberatungsstelle zu bewegen.
Wie werden die Angehörigen in den Entzug einbezogen?
Frau Dr. Mahlmeister
In vielen privaten Suchtkliniken werden die Angehörigen durch Seminare und Gespräche in den Entzug einbezogen. In öffentlichen Kliniken besteht ebenfalls die Möglichkeit zu Gesprächen, allerdings finden diese durch die geringere Personaldichte meist weniger häufig statt.
Wie sieht die Angehörigenarbeit in einer Tagesklinik aus?
Herr Dipl. Psych. Winter
Die Familie der Teilnehmer wird auch in unserer Tagesklinik in die Therapie eingebunden. Durch die Nähe zum Wohnort können die Angehörigen flexibel und individuell eingeladen werden und gemeinsam mit den Betroffenen an Familien- und Paargesprächen teilnehmen.
Weshalb ist Alkoholsucht eine Familienkrankheit?
Frau Dr. Mahlmeister
Die Alkoholkrankheit ist eine Mischung aus genetischen und sozialen Faktoren und betrifft das gesamte Familiensystem. Dazu gehören der Suchtkranke selbst, sein Partner, der die Sucht oft unwissentlich unterstützt und die Kinder, die als Erwachsene häufig selbst trinken oder sich einen alkoholsüchtigen Partner suchen.
Was mache ich, wenn ich eine Co-Abhängigkeit entwickelt habe?
Frau Dr. Mahlmeister
Menschen mit einer Co-Abhängigkeit bemerken meist sehr spät, in welche Rolle sie unbeabsichtigt gerutscht sind. Oft macht sie erst der Therapeut des Abhängigen auf ihr co-abhängiges Verhalten aufmerksam. Wichtig ist es, Grenzen zu setzen und das eigene Wohlergehen nicht dem Suchtkranken unterzuordnen. Dies gelingt in vielen Fällen erst mit einer Psychotherapie, in der sich der Betroffene aktiv mit seinem Selbstbild und seiner Vergangenheit auseinandersetzt.