Was ist eine Tavor®-Abhängigkeit?
Die Diagnose-Kriterien einer Medikamentensucht sind im ICD-10 Diagnosemanual der WHO eindeutig definiert. So müssen mindestens 3 der nachfolgend genannten Kriterien innerhalb des letzten Jahres gemeinsam aufgetreten sein:
- Ein starkes Verlangen (Craving) nach dem Wirkstoff Lorazepam aufgrund des entstandenen Suchtgedächtnisses
- Kontrollverlust bzgl. Menge und Zeitpunkts der Einnahme der Tavor®-Tabletten oder von Tavor® Expidet
- Körperliche und psychische Absetzerscheinungen nach Konsumstopp oder Einnahmeverzögerung
- Konsumsteigerung aufgrund einer Toleranzentwicklung
- Dem Konsum von Tavor® werden alle anderen Interessen und Lebensbereiche untergeordnet
- Anwendung wird trotz negativer Nebenwirkungen fortgesetzt
Dennoch ist die Diagnostik einer Tavor®-Abhängigkeit im Vergleich zu einer Alkoholsucht oder einer Drogensucht wesentlich schwieriger, da die Patienten das Mittel nicht zur Rauscherzeugung einnehmen, sondern von ihrem Arzt verschrieben bekommen. Anders als bei einer Opiat-Abhängigkeit tritt meist kein euphorisierender Effekt auf, so dass es in der Regel zu keinem Kontrollverlust kommt. Die Patienten bleiben normalerweise bei der vom Arzt verordneten niedrigen Dosis (Low-dose-Abhängigkeit) und befinden sich durch den mit einer längeren Einnahmezeit verbundenen Gewöhnungseffekt ständig in einer Unterdosierung. Aus Angst vor negativen Folgen im Alltag nehmen sie das Mittel dennoch weiter ein, obwohl die Dosis für den tatsächliche Wirkeffekt nicht mehr ausreicht, sondern nur noch die Entzugserscheinungen und das Suchtverlangen unterdrückt.
Was ist eine primäre Hochdosisabhängigkeit?
Das Gegenteil zur Niedrigdosisabhängigkeit ist die sogenannte primäre Hochdosisabhängigkeit. Hier erhöhen die Patienten über einen längeren Zeitraum eigenmächtig die Dosierung, so dass das Beruhigungsmittel zunehmend in hohen Dosen eingenommen wird. Erhalten die Betroffenen die dafür erforderliche Menge an Lorazepam nicht von ihrem Hausarzt, wechseln sie meist den Arzt oder suchen mehrere Mediziner auf.
Welche weiteren Formen einer Tavor®-Abhängigkeit gibt es?
Abseits vom medizinischen Gebrauch werden Benzodiazepine in bestimmten Kreisen als sogenannte Downer im Wechsel mit Stimulanzien eingenommen. Die Konsumenten nutzen sie, um das durch Kokain oder Amphetamin künstlich erzeugte Hoch vorzeitig zu beenden. Der Körper wird durch ein solches Konsumverhalten stark belastet, häufig entsteht eine Mehrfachabhängigkeit nach dem Stimulans und dem Downer. Im Vergleich zu einer medizinisch bedingten Medikamentenabhängigkeit ist der Anteil allerdings verschwindend gering.
Von einer sekundären Hochdosisabhängigkeit spricht man, wenn sich die Lorazepam-Abhängigkeit als Folge einer Suchtverlagerung ergibt. In einem solchen Fall bestand zunächst eine Abhängigkeit von einem anderen Suchtmittel, beispielsweise Alkohol, die erfolgreich behandelt wurde. Dennoch gelingt es dem Patienten nicht, sein Leben ohne eine psychotrope Substanz zu meistern, so dass auf einen anderen Wirkstoff umgestiegen wird. Auch diese Art der Abhängigkeit von Tavor® oder einem anderen Benzodiazepin ist eher selten.