„How-to“ – Der Weg aus der Sucht in der Praxis
Was mache ich, wenn ich den Verdacht habe, von einer bestimmten Substanz abhängig zu sein?
Frau Dr. Mahlmeister
Die erste Anlaufstelle für viele Betroffene ist der Hausarzt. Auch der Gang zu einer Suchtberatungsstelle oder Psychiatrie ist möglich, für viele Betroffene aber mit einer größeren Hemmschwelle verbunden. Ebenso möglich ist ein (anonymer) Anruf bei einer Suchtklinik, in dem der Betroffene offen über seinen Verdacht sprechen und sich eine Expertenmeinung einholen kann.
Wie kann ich mir selbst helfen?
Frau Dr. Mahlmeister
Der Ausstieg aus der Sucht ist ohne professionelle Unterstützung nicht möglich. Demzufolge ist es die beste Selbsthilfe, die Ratschläge und Hilfsangebote von Suchtexperten anzunehmen.
Wo erhalte ich einen Überblick über das weitere Vorgehen?
Frau Dr. Mahlmeister
Sowohl der Hausarzt als auch die Suchtberatungsstellen informieren über den Ablauf einer Suchttherapie. Der Hausarzt wird in der Regel einen stationären Entzug in einer Akutklinik oder Psychiatrie empfehlen. In der Klinik bzw. auf der Suchtstation werden die Suchtkranken vom Sozialdienst darüber informiert, dass nach der körperlichen Entgiftung eine Langzeittherapie zwingend erforderlich ist. Der Antrag wird in der Regel gemeinsam in der Sprechstunde des Sozialdienstes gestellt. Alternativ helfen die Mitarbeiter von Suchtberatungsstellen. Entscheidet sich der Patient für eine Privatklinik, verläuft die Behandlung in einem Schritt und muss nicht beantragt werden.
Wie diagnostiziert ein niedergelassener Mediziner eine Suchterkrankung?
Herr Dipl. Psych. Winter
Die Diagnose erfolgt über Screening-Fragen zum Konsum und den damit verbundenen Folgen. Spezielle Interviews werden auch bei Suchtberatungsstellen durchgeführt. Darüber hinaus können bestimmte Laborwerte hinzugezogen werden, beispielsweise bei einer Alkoholsucht die Leberwerte.
Wie finde ich eine Suchtberatungsstelle?
Frau Dr. Mahlmeister
Suchtberatungsstellen sind in jeder größeren Stadt vertreten und lassen sich leicht über das Internet recherchieren. Auf jeden Fall möglich ist eine Suchtberatung in Niederlassungen der Caritas und der Diakonie.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen Entzug?
Frau Dr. Mahlmeister
Um körperliche, psychische und soziale Schäden zu vermeiden, ist es am besten, wenn der Entzug so früh wie möglich begonnen wird. Aber auch in fortgeschrittenen Verläufen ist es nie zu spät für eine Suchttherapie. Es gibt also nicht „den“ richtigen Zeitpunkt, sondern jeder Einzelne entscheidet für sich selbst, wann er soweit ist, eine Behandlung zu beginnen. Und genau an diesem Punkt holen wir unsere Patienten ab.
Herr Prof. Dr. Kiefer
Je früher die Behandlung beginnt, desto besser ist es für den Suchtkranken und desto leichter fällt der Entzug. So kann die Behandlung in einem frühen Stadium der Sucht bzw. bei Alkoholmissbrauch, wenn noch keine körperlichen Entzugssymptome bestehen, meist ohne Entgiftung stattfinden. In einigen Fällen reicht eine Kurzintervention, in anderen Fällen ist eine klassische Entwöhnung erforderlich.
Wo kann ich eine Entgiftung durchführen?
Frau Dr. Mahlmeister
Die Entgiftung über die Krankenkasse findet entweder in einem Akutklinikum oder einer Psychiatrie mit Suchtstation statt. Für die meisten Betroffenen ist der Aufenthalt in einem somatischen Krankenhaus mit deutlich weniger Stigmatisierung verbunden als in einer Psychiatrie. Alternativ kann die Entgiftung in einer Privatklinik mit entsprechender Zulassung erfolgen.
Herr Dipl. Psych. Winter
Eine Alternative zur vollstationären Entgiftung kann ein teilstationärer Entzug in einer Tagesklinik sein. In vielen Akut-Suchtkliniken, die Entgiftungen anbieten, gibt es diese Möglichkeit inzwischen. Hier kehren die Betroffenen zwar in den Abendstunden und am Wochenende nach Hause zurück, haben aber durch die Betreuung und die medikamentöse Behandlung der Tagesklinik ein geringeres Komplikationsrisiko als Patienten, die komplett zu Hause entziehen und den behandelnden Arzt lediglich zur Kontrolle aufsuchen.
Wo ist eine Entwöhnung möglich?
Frau Dr. Mahlmeister
Die Langzeittherapie oder auch Suchtrehabilitation findet in einer auf Sucht spezialisierten Rehaklinik der Rentenversicherung statt und muss zunächst beantragt werden. Der Schwerpunkt liegt in erster Linie auf der Gruppentherapie. In einer privaten Klinik findet die Entwöhnung gemeinsam und eng verzahnt mit der Entgiftung statt.
Wie läuft eine Entwöhnung in einer Tagesklinik ab?
Herr Dipl. Psych. Winter
Nach erfolgreicher Entgiftung ist ebenfalls eine Entwöhnungsbehandlung im tagesklinischen Setting möglich. Diese Reha-Form nennt sich „ganztägig ambulant“ und ist eine Alternative zur „stationären“ oder „ambulanten“ Reha. Die Reha in einer Tagesklinik kann bei unterschiedlichen Abhängigkeiten durchgeführt werden und umfasst bei einer Alkoholabhängigkeit eine Behandlungsdauer von 12 Wochen. Bei einer Abhängigkeit von anderen Substanzen sind mitunter auch 16 Wochen vorgesehen. Ist dieser Zeitraum nicht ausreichend, kann die Behandlungsdauer individuell angepasst werden. Die Behandlung bietet einen größeren Alltagsbezug als stationäre Therapien, da die Teilnehmer täglich in ihren Lebensalltag zurückkehren. Dadurch ist der Schutz vor Risikofaktoren einerseits geringer als bei stationären Therapien. Andererseits bietet die Konfrontation mit diesen Belastungen auch eine sehr große Chance, da die Teilnehmer lernen, im Alltag abstinent zu sein und sich andere konsumfreie und alltagstaugliche Strategien aufzubauen. Die alltäglichen Probleme sollten daher auch in die Behandlung mit eingebracht und neue Lösungsansätze mit nach Hause genommen und zeitnah ausprobiert werden. Während der Reha kommen Patienten montags bis freitags von 08:30 Uhr bis 16:00 Uhr in unsere Klinik und samstags bis 12:00 Uhr. Das Behandlungsprogramm ähnelt in den Komponenten einer stationären Reha. Wie bei anderen Reha-Behandlungen ist eine Krankschreibung nicht erforderlich; nach Ablauf der Lohnfortzahlung erhält der Betroffene Übergangsgeld von der Rentenversicherung zur Existenzsicherung.
Gibt es ambulante Alternativen zur stationären oder teilstationären Entwöhnung?
Herr Dipl. Psych. Winter
Alternativ ist eine ambulante Form der Reha möglich, die bei einer Suchtberatungsstelle absolviert wird. Diese Reha findet berufs- und alltagsbegleitend an 2 bis 3 Terminen pro Woche statt und ist vom Umfang und Unterstützungsgrad her schmaler gestaltet. Zudem gibt es im Anschluss an Reha-Maßnahmen die ambulante Suchtnachsorge, um weitere alltagsbegleitende Unterstützung zu erhalten. Weiterhin empfehlen wir auch die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe, da sich dies als sehr wichtiger Faktor zur Erreichung einer dauerhaft zufriedenen Abstinenz herausgestellt hat.
Kann die Entwöhnung über eine ambulante Psychotherapie stattfinden?
Herr Dipl. Psych. Winter
Die meisten Therapeuten verfügen über ein gutes Basiswissen über Abhängigkeitserkrankungen und arbeiten gemeinsam mit ihren Patienten auch am Thema Substanz- und Alkoholkonsum. Die Grundvoraussetzung für die Durchführung einer ambulanten Psychotherapie ist allerdings die Erreichung einer Abstinenz. Daher werden oft zuerst nur einige Sitzungen bewilligt mit Aussicht auf weitere Sitzungen. Sobald eine Abstinenz, etwa durch eine Entgiftung, erreicht wurde, kann die ambulante Therapie fortgesetzt werden. Sollte es zu Rückfällen kommen, muss durch geeignete Maßnahmen erneut eine Abstinenz erreicht werden. Stabilisieren sich Betroffene im Rahmen der ambulanten Therapie nicht ausreichend psychisch und erreichen keine dauerhafte Abstinenz, sollte auch das Suchthilfesystem genutzt werden, etwa durch die Teilnahme an einer Entgiftung und Entwöhnungsbehandlung. In deren Folge können ambulante Psychotherapien erfolgreich weitergeführt werden und ein wichtiger Baustein der Nachsorge sein.
Soll ich lieber ambulant oder stationär entziehen?
Frau Dr. Mahlmeister
Der stationäre Entzug von Suchtstoffen ist einer ambulanten Entzugstherapie insofern überlegen, dass er den oder die Betroffene komplett aus seinem Suchtumfeld herauslöst und auf diese Weise Rückfallrisiken minimiert. Darüber hinaus befindet sich der Patient rund um die Uhr in ärztlicher und therapeutischer Betreuung und kann bei Komplikationen sofort adäquat behandelt werden.
Wann ist ein ambulanter Entzug überhaupt möglich?
Herr Prof. Dr. Kiefer
Ob ein ambulanter Entzug möglich ist, entscheidet die Ausprägung der Krankheit. Ist mit Krampfanfällen und / oder einem Delirium tremens zu rechnen, ist auf jeden Fall ein stationärer Entzug indiziert. Gleiches gilt, wenn Mehrfachabhängigkeiten und psychische Begleiterkrankungen vorliegen. Erfolgt die Suchttherapie ambulant, ist sie meist sehr alltagsnah und kann gezielt auf aktuelle Situationen und Konsumauslöser eingehen.
Wie finde ich eine geeignete Einrichtung?
Frau Dr. Mahlmeister
Bei öffentlichen Einrichtungen wird zur Entgiftung meist die nächstgelegene Klinik gewählt. Bzgl. Suchtrehabilitation arbeitet die Rentenversicherung mit festen Kooperationspartnern zusammen, die Maßnahme wird bereits in der behandelnden Klinik vom Patienten und dem Sozialdienst gemeinsam beantragt. Bestehen Doppeldiagnosen mit einer Depression und / oder Angststörung ist eine psychiatrische Klinik, die sowohl Suchterkrankungen als auch psychische Störungen behandelt, in der Regel die bessere Alternative, muss allerdings seitens des behandelnden Arztes ausführlich begründet werden. Findet der Entzug in einer Privatklinik statt, entscheidet der Suchtkranke selbst, welche Einrichtung ihm am besten zusagt. Da die Wahl der passenden Klinik maßgeblich zum Entzugserfolg beiträgt, ist es sinnvoll, vorab mit den in Frage kommenden Entzugskliniken einen Besichtigungstermin auszumachen.
Gibt es generelle Unterschiede zwischen den einzelnen Entzugseinrichtungen?
Frau Dr. Mahlmeister
Der Ablauf der Suchttherapie besteht aus Entgiftung, Entwöhnung und ambulanter Nachsorge. Dies gilt für alle öffentlichen und privaten Kliniken, so dass der Aufbau der Therapie in allen Einrichtungen gleich ist. Lediglich der zeitliche Ablauf, die Qualität und das therapeutische Angebot unterscheiden sich. So findet die reine Entgiftung in einer öffentlichen Einrichtung in der Regel ohne psychologische Betreuung statt. Die Psychotherapie während der Suchtrehabilitation erfolgt überwiegend im Gruppensetting. Bei Privatkliniken entscheidet die Ausrichtung / Ideologie der jeweiligen Einrichtung über den Fokus des stationären Aufenthalts. Während in der My Way Betty Ford Klinik der Behandlungsschwerpunkt beispielsweise auf einer intensiven Psychotherapie liegt, sind andere Kliniken eher naturheilkundlich oder spirituell ausgerichtet.
Haben Suchtkranke einen Einfluss auf die Zuweisung der Rehabilitationsklinik?
Herr Dipl. Psych. Winter
In der Regel entscheiden Patienten gemeinsam mit der Suchtberatung oder dem Sozialdienst des Akutkrankenhauses, ob sie eine stationäre, ganztägig ambulante oder ambulante Suchtrehabilitation durchführen möchten. Beim folgenden Antrag auf Reha-Leistung wird die entsprechende Leistungsform angegeben. Letztendlich obliegt es dem Kostenträger, zu entscheiden, in welcher Leistungsform und in welcher Einrichtung die Reha absolviert wird. Bei Tageskliniken (ganztägig ambulante Reha) wird aufgrund der täglichen An- und Abfahrt meist die dem Wohnort nächstgelegene Einrichtung zugewiesen; andere ebenfalls gut erreichbare Einrichtungen werden bei entsprechender Eignung ebenso bewilligt. Auch bei vollstationären Angeboten wird dem Wunsch nach einer bestimmten Klinik in den meisten Fällen entsprochen.
Wer übernimmt die Behandlungskosten?
Frau Dr. Mahlmeister
Hier muss grundsätzlich zwischen dem Entzug in öffentlichen und privaten Einrichtungen unterschieden werden. So fällt die Entgiftung grundsätzlich in den Leistungskatalog der Krankenkassen, die Suchtrehabilitation wird von der zuständigen Rentenversicherung übernommen. Erfolgt der Entzug in einer Privatklinik, werden die Kosten entweder selbst getragen oder von der privaten Krankenkasse übernommen. Welche Kosten konkret gezahlt werden, ist dabei völlig unterschiedlich und vom jeweiligen Versicherungsvertrag abhängig. Einige Kassen zahlen sowohl die Entgiftung als auch die Entwöhnung, andere nur die Entgiftung. Vor Behandlungsbeginn empfiehlt sich daher ein Gespräch mit der jeweiligen Kasse; die Kostenübernahme muss beantragt werden.
Sind bei den öffentlichen Kostenträgern mehrere Entzugsbehandlungen möglich?
Herr Dipl. Psych. Winter
Rückfälle sind bei Abhängigkeitserkrankungen normal, so dass natürlich auch wiederholte Entgiftungsbehandlungen notwendig werden und von den Kostenträgern – in diesem Fall den Krankenkassen – übernommen werden. Einweisungen für Entgiftungsbehandlungen laufen über niedergelassene Ärzte, es unterstützen auch Suchtberatungsstellen. Entwöhnungsbehandlungen werden nach Antragstellung und entsprechender Prüfung seitens der Kostenträger (meist die Rentenversicherung, ggf. auch die Krankenkasse) ebenfalls wiederholt bewilligt. Sollten mehrere Maßnahmen nicht von Erfolg gekrönt sein, behalten sich die Kostenträger jedoch vor, Behandlungen nicht mehr zu bewilligen bzw. andere Leistungsformen vorzuschlagen. Die Antragstellung für Entwöhnungsbehandlungen erfolgt durch eine Suchtberatungsstelle oder den Sozialdienst einer Klinik.
Wie geht es nach dem Entzug weiter?
Frau Dr. Mahlmeister
Eine ambulante Nachsorge bei einem ambulanten, auf Sucht spezialisierten Therapeuten ist nach dem Entzug zwingend erforderlich, um die Abstinenz im Alltag zu stabilisieren. Die Rückfallgefahr ist in den ersten 3 Monaten am größten, so dass Nachsorgetermine mindestens 1 Jahr regelmäßig wahrgenommen werden sollten. Danach finden die Termine in immer größeren Abständen statt, bis sie schließlich ganz aufhören. Sollte es zu Wartezeiten auf einen ambulanten Therapieplatz kommen, sollte unbedingt ein- bis zweimal pro Woche eine Selbsthilfegruppe besucht und Beratungsgespräche in einer ambulanten Suchtberatungsstelle in Anspruch genommen werden. Erfolgt die Suchtherapie in einer privaten Entzugsklinik, ist diese bei der Suche nach einem geeigneten Therapeuten behilflich. Die My Way Betty Ford Klinik z. B. arbeitet bundesweit mit einem umfangreichen Netzwerk an Kooperationspartnern und Nachsorgetherapeuten zusammen und vermittelt bei freien Kapazitäten einen zeitnahen Nachsorgeplatz.
Was passiert, wenn sich kein ambulanter Kooperationspartner in Wohnortnähe befindet oder kein freier Platz vorhanden ist?
Frau Dr. Mahlmeister
Sollte kein ambulanter Kooperationspartner zur Verfügung stehen, informieren wir unsere Patienten bereits während des Entzugs über passende Alternativen. Wichtig ist es beispielsweise, sich bei einer ambulanten Suchtberatungsstelle über das örtliche Angebot zu informieren und dieses wahrzunehmen. Auch die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe zählt gewissermaßen zum Pflichtprogramm für abstinente Suchtkranke.
Wie erhält man einen ambulanten Nachsorgeplatz?
Herr Dipl. Psych. Winter
Das Nachsorgemodul der Deutschen Rentenversicherung wird während der Reha beantragt und beginnt nahtlos nach der Entwöhnung in der zuständigen Suchtberatungsstelle. Die Dauer beträgt 6 Monate, mit der Möglichkeit der Verlängerung auf 12 Monate. Auch Krankenkassen finanzieren häufig das Nachsorgemodul. Zusätzlich zum Nachsorgemodul empfehlen wir die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe und bei Bedarf eine ambulante Psychotherapie und unterstützen unsere Teilnehmer bei der Einleitung dieser Maßnahmen.